Psychotherapie: Was ist damit gemeint? (Definition, Erklärung)

Das Wichtigste in Kürze

• Behandlung psychischer Erkrankungen mit wissenschaftlich anerkannten Methoden

• Durchführung durch qualifizierte Psychotherapeutinnen oder Psychiater

• KVG deckt Leistungen bei ärztlicher Anordnung

• Sitzungen nach TARMED-Tarif abgerechnet

• Franchise und Selbstbehalt beeinflussen Kosten

• Zusatzversicherung kann Leistungen erweitern

• Wichtig bei Depressionen, Ängsten, Belastungen und Traumata

Zahlen & Fakten

1. Rund 1 Million Menschen in der Schweiz benötigen jährlich psychotherapeutische Unterstützung [1].
2. Über 30 % aller Arbeitsausfälle** sind psychisch bedingt [2].
3. Eine Therapiesitzung kostet durchschnittlich 140–200 CHF nach TARMED [3].
4. Die Anzahl psychologischer Psychotherapeutinnen stieg in 10 Jahren um über 40 % [1].
5. KVG übernimmt bis zu 40 Sitzungen pro Jahr mit ärztlicher Anordnung (in Etappen) [3].
6. Zusatzversicherungen vergüten jährlich Leistungen im Umfang von über 300 Millionen CHF [4].
7. Psychische Erkrankungen verursachen volkswirtschaftliche Kosten von über 11 Milliarden CHF pro Jahr [2].

Rechtliche Grundlagen und System der Kostenübernahme

Psychotherapie in der Schweiz basiert auf verschiedenen gesetzlichen Grundlagen:

KVG – Krankenversicherungsgesetz
Übernimmt seit 2022 psychologische Psychotherapie, wenn eine ärztliche Anordnung vorliegt.
Vergütet werden Leistungen, die:

• wirksam
• zweckmässig
• wirtschaftlich sind (WZW-Kriterien)

VVG – Zusatzversicherungen
Decken psychotherapeutische Leistungen ohne ärztliche Anordnung, alternativmedizinische Therapien oder längere Behandlungsserien.

IV – Invalidenversicherung
Übernimmt Psychotherapie bei klar definierten Eingliederungsmassnahmen, wenn die Behandlung notwendig ist, um Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

AHV/EO spielen bei Psychotherapie keine direkte Rolle, werden aber oft im Zusammenhang mit arbeitsbezogenen Folgeproblemen erwähnt.

Wie werden Psychotherapiekosten berechnet?

Therapiesitzungen werden über TARMED abgerechnet. TARMED definiert Taxpunkte, die mit einem kantonalen Taxpunktwert multipliziert werden.

Beispiel:
50-minütige Sitzung → 155 Taxpunkte
Taxpunktwert Zürich: 0.86 CHF
155 × 0.86 = 133.30 CHF

Patienten zahlen:

1. Franchise

Je nach Modell (300–2’500 CHF).

1. Selbstbehalt

10 % der Kosten bis maximal 700 CHF pro Jahr.

Beispielrechnung:
Therapiekosten 133 CHF
Franchise noch nicht erreicht → voller Betrag 133 CHF
Wenn Franchise erfüllt:
Selbstbehalt 10 % = 13.30 CHF
Kasse übernimmt 119.70 CHF

Zusatzversicherungen können darüber hinaus Kosten ohne Franchise decken.

Wie läuft eine Psychotherapie ab?

Ein üblicher Therapieprozess besteht aus:

• Erstgespräch
• Abklärung und Diagnostik
• Festlegung von Zielen
• Wahl der Therapiemethode
• regelmässige Sitzungen (wöchentlich bis monatlich)
• Evaluation des Verlaufs
• Abschluss und Nachbetreuung

Je nach Methode kann Psychotherapie gesprächsbasiert, verhaltenstherapeutisch, körperorientiert oder traumafokussiert sein.

Therapieformen in der Schweiz

Wissenschaftlich anerkannte Verfahren sind:

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Änderung von Gedanken- und Verhaltensmustern.

Psychodynamische Therapie
Verarbeitung unbewusster Konflikte.

Systemische Therapie
Fokus auf Beziehungen und soziale Strukturen.

Interpersonelle Therapie
Arbeit an sozialen und zwischenmenschlichen Problemen.

Traumatherapie (EMDR, PITT)
Behandlung von Belastungs- und Traumaerfahrungen.

Nicht alle Methoden werden durch das KVG vergütet – Zusatzversicherungen können ergänzen.

Praxisbeispiele

Beispiel 1: Depression – KVG-Psychotherapie mit Anordnung

Eine 42-jährige Frau leidet seit Monaten unter Schlafstörungen, Antriebslosigkeit und depressiven Gedanken. Der Hausarzt diagnostiziert eine mittelgradige Depression und stellt eine KVG-konforme Anordnung für Psychotherapie aus.

Kosten:
50 Minuten Sitzung: 140 CHF
10 Sitzungen: 1’400 CHF

Franchise 500 CHF noch nicht ausgeschöpft → Patientin zahlt 500 CHF
Rest: 900 CHF → Selbstbehalt 10 % = 90 CHF
Kasse übernimmt 810 CHF
Eigenkosten total: 590 CHF

Durch die Therapie stabilisiert sich ihre Stimmung, sie kann wieder arbeiten. Dieses Beispiel zeigt, wie das KVG wirksam unterstützt, aber dennoch Eigenkosten entstehen.

Beispiel 2: Angststörung – Zusatzversicherung

Ein 29-jähriger Mann leidet unter Panikattacken. Er möchte eine psychologische Therapie ohne ärztliche Anordnung beginnen. Da seine Zusatzversicherung (VVG) 75 % bis max. 2’000 CHF pro Jahr bezahlt, übernimmt sie einen grossen Teil der Kosten.

Kosten:
Sitzung: 160 CHF
20 Sitzungen: 3’200 CHF
Vergütung (75 %): 2’400 CHF, limitiert auf 2’000 CHF
Eigenanteil: 1’200 CHF

Dieses Beispiel zeigt, dass Zusatzversicherungen ohne Anordnung helfen, aber Limiten gelten.

Bedeutung der Psychotherapie für die Gesellschaft

Psychotherapie ist essenziell für:

• Stabilisierung psychischer Gesundheit
• Rückkehr in Arbeitsprozesse
• Reduktion von Sozialhilfekosten
• Prävention schwerer Erkrankungen
• Verringerung von Notfall- und Kriseninterventionen

Psychische Erkrankungen führen häufig zu IV-Renten oder beruflichem Ausfall. Durch frühzeitige Therapie können Langzeitfolgen verhindert werden, was das gesamte Sozialsystem entlastet.

Besondere Rolle der Psychotherapie bei Jugendlichen

In der Jugend nimmt psychische Belastung stark zu. Häufige Gründe:

• Leistungsdruck
• soziale Medien
• Mobbing
• Identitätsfragen
• familiäre Konflikte

KVG deckt Therapien bei medizinischer Indikation. Kinderfranchisen (z. B. 0–600 CHF) sind deutlich tiefer, was den Zugang erleichtert.

Psychotherapie und Arbeitswelt

Psychische Erkrankungen sind eine der häufigsten Ursachen für:

• längere Arbeitsausfälle
• Burnouts
• berufliche Neuorientierungen
• IV-Anmeldungen

Psychotherapie wirkt nachhaltig arbeitserhaltend.
Durch gezielte therapeutische Massnahmen können IV-Fälle reduziert werden – ein wichtiger Aspekt im System der Invalidenversicherung (IV).

Häufige Missverständnisse

• „Psychotherapie ist nur Gesprächstherapie.“ → Methoden sind vielfältig.

• „KVG bezahlt alles.“ → Nur mit ärztlicher Anordnung und nach Franchise.

• Psychotherapeuten sind Psychiater.“ → Psychotherapeuten sind psychologische Fachpersonen.

• „Therapie wirkt sofort.“ → Erfolg braucht Zeit und Mitarbeit.

• „Privatversicherung deckt unbegrenzt.“ → Höchstgrenzen existieren.

Fazit

Psychotherapie ist ein zentraler Bestandteil der psychischen Gesundheitsversorgung in der Schweiz. Sie hilft Menschen, Krisen zu überwinden, Erkrankungen zu behandeln und Lebensqualität zurückzugewinnen. Dank der Kostenübernahme durch die Grundversicherung steht sie heute deutlich mehr Menschen offen. Dennoch bleibt sie ein Bereich, in dem Eigenkosten, Versicherungsmodelle und Zugangsvoraussetzungen genau verstanden werden müssen. Wer die Regeln kennt, kann psychotherapeutische Unterstützung optimal nutzen und finanzielle Überraschungen vermeiden.

Quellenverzeichnis

• [1] Schweizer Psychotherapie-Statistik, 2023
• [2] Gesundheitsbericht Schweiz – Arbeitsausfälle, 2022
• [3] BAG: Tarife und KVG-Anordnungsmodell, 2023
• [4] usatzversicherungsreport Schweiz, 2022