Nichtärztliche Psychotherapie: Was ist damit gemeint? (Definition, Erklärung)

Das Wichtigste in Kürze

• Psychotherapeutische Behandlung durch nichtärztliche Fachpersonen

• Leistungen mit ärztlicher Anordnung über KVG abrechenbar

• Wichtig zur Versorgung bei Depression, Angst, Trauma u. a.

• Ausbildung nach Bundesrecht geregelt und kontrolliert

• Honoriert nach TARMED-Tarif der Grundversicherung

• Erleichtert Zugang zu Therapieplätzen

• Verringert Wartezeiten und Kostenbarrieren

Zahlen & Fakten

1. In der Schweiz arbeiten über 10’000 nichtärztliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten [1].
2. Seit Einführung des Anordnungsmodells 2022 stieg die Nachfrage nach Psychotherapie um rund 25 % [2].
3. Die Grundversicherung vergütet bis zu 15 Sitzungen, verlängerbar auf 30 oder mehr bei Indikation [3].
4. Eine Sitzung kostet durchschnittlich 154–180 CHF, je nach Tarifposition [3].
5. Rund 50 % aller KVG-finanzierten Psychotherapien werden heute von nichtärztlichen Psychotherapeuten durchgeführt [2].
6. 60 % aller neuen Psychotherapiepatienten leiden an Depressionen oder Angststörungen [4].
7. Die Wartezeit verkürzt sich dank nichtärztlicher Psychotherapie durchschnittlich von 10 auf 4 Wochen [1].

Wie nichtärztliche Psychotherapie funktioniert

Psychotherapeutinnen ohne Medizinstudium besitzen eine spezialisierte Hochschulausbildung in Psychologie sowie eine mehrjährige Weiterbildung in anerkannten psychotherapeutischen Verfahren. Sie arbeiten eigenständig, benötigen jedoch für Leistungen über die KVG eine ärztliche Anordnung.

Voraussetzungen für KVG-vergütete Psychotherapie

• ärztliche Erstabklärung
• ärztliche Anordnung für 15 Sitzungen
• Weiterführende Sitzungen benötigen Begründung und erneute ärztliche Beurteilung
• Abrechnung nach TARMED (einheitlicher Tarif für medizinische Leistungen)

Typische Einsatzgebiete

• depressive Störungen
• Angst- und Panikstörungen
• Traumafolgestörungen
• Burnout
• Essstörungen
• psychosomatische Beschwerden
• Paar- und Familientherapie (teilweise VVG, nicht KVG)

Die Therapie erfolgt über Gespräche, verhaltenstherapeutische Methoden, systemische Ansätze oder psychodynamische Verfahren.

Kosten, Prämien und Vergütungen – wie wird abgerechnet?

1. Kosten einer Sitzung nach TARMED

Beispiel: 60-minütige Sitzung
Tarifposition: Psychotherapie durch nichtärztliche Psychotherapeutin
Preis: ca. 154–180 CHF

2. Kostenbeteiligung für Patienten

KVG übernimmt nach Franchise:

• Franchise (z. B. 300 CHF/Jahr)
• danach Selbstbehalt: 10 % bis max. 700 CHF/Jahr

Beispiel:
5 Sitzungen à 160 CHF → 800 CHF
Patient hat Franchise 300 CHF
→ Patient zahlt 300 CHF + 10 % von 500 CHF
= 300 + 50
→ 350 CHF Eigenkosten

3. Finanzierung über Zusatzversicherung (VVG)

Einige Zusatzversicherungen übernehmen Psychotherapie ohne ärztliche Anordnung.
Leistung: z. B. 70–80 % der Kosten, max. 1’500 CHF/Jahr
Prämien abhängig von:

• Alter
• Leistungspaket
• Anbieter

Praxisbeispiele

Beispiel 1: Therapie einer Angststörung – KVG finanziert 15 Sitzungen

Eine 28-jährige Frau leidet unter Panikattacken.
Hausarzt stellt Diagnose und ordnet 15 Sitzungen Psychotherapie an.

Kosten (pro Sitzung 160 CHF):
15 × 160 = 2’400 CHF

Patientin mit 300 CHF Franchise:

• Franchise: 300 CHF
• Restbetrag 2’100 CHF → Selbstbehalt 10 % = 210 CHF
  → Eigenkosten total: 510 CHF

KVG zahlt:
2’400 – 510 = 1’890 CHF

Nach der ersten Serie wird eine Verlängerung um weitere 15 Sitzungen genehmigt.
Dieses Beispiel zeigt, wie finanzierbar Psychotherapie wird, sobald das Anordnungsmodell greift.

Beispiel 2: Traumatherapie ohne Anordnung – Zusatzversicherung übernimmt Kosten

Ein 45-jähriger Mann möchte Traumabearbeitung, jedoch ohne ärztliche Diagnoseerstellung.
Er verfügt über eine Zusatzversicherung, die 75 % von 2’000 CHF jährlich übernimmt.

Kosten:
10 Sitzungen à 170 CHF = 1’700 CHF

Berechnung:
1’700 × 0.75 = 1’275 CHF
Eigenanteil: 425 CHF

Ohne Zusatzversicherung müsste er die gesamten 1’700 CHF selbst bezahlen.
Das Beispiel zeigt, wie Zusatzversicherungen wichtige Lücken schliessen.

Bedeutung der nichtärztlichen Psychotherapie

1. Entlastung der psychiatrischen Versorgung

Ärztliche Psychiater fokussieren stärker auf komplexe Fälle, Diagnostik, Medikation.
Nichtärztliche Psychotherapeutinnen übernehmen:

• Langzeittherapien
• Intensivtherapien
• Präventive psychotherapeutische Arbeit

2. Verbesserung des Zugangs zur Therapie

Psychische Erkrankungen betreffen in der Schweiz rund 20 % der Bevölkerung.
Wartezeiten sind ein Kernproblem.
Dank nichtärztlichen Psychotherapeutinnen:

• deutlich mehr Therapieplätze
• schnellere Behandlung
• geringere Kostenbarrieren

3. wissenschaftliche Qualität

Ausbildung umfasst:

• Masterabschluss Psychologie
• Postgraduale Weiterbildung (mind. 5 Jahre)
• Supervision
• klinische Praxis

4. Stabilisierung der Gesundheitskosten

Psychotherapie reduziert Folgekosten wie:

• Langzeitmedikation
• Arbeitsausfälle
• stationäre Aufenthalte

Beispiel:
Depression ohne Therapie → durchschnittliche Krankheitskosten ca. 4’800 CHF/Jahr
Mit Therapie → durchschnittlich 2’900 CHF/Jahr

Weitere relevante Aspekte

1. Rolle der Sozialversicherungen (AHV, IV, EO)

Die nichtärztliche Psychotherapie kann indirekt Einfluss auf folgende Bereiche haben:

• AHV
  Psychische Erkrankungen können Arbeitsausfälle verursachen, was später Vorsorgelücken schafft.
• IV (Invalidenversicherung)
  IV übernimmt Therapiekosten nicht direkt, beteiligt sich aber an Eingliederungsmassnahmen.
  Nichtärztliche Psychotherapie kann helfen, eine IV-Rente zu vermeiden.
• EO (Erwerbsersatzordnung)
  EO deckt Mutterschaft/Vaterschaft und Militärdienst – nicht psychische Erkrankungen.
  Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen werden über KTG (Krankentaggeld) oder IV-Prozesse abgewickelt.

2. Psychotherapeutische Versorgung in der Grundversicherung

Seit 2022 stärker reguliert:

• maximale Sitzungsanzahl
• ärztliche Kontrolle
• Abrechnung über TARMED
  Ziel: bessere Steuerung, aber auch Kritik wegen Mehraufwand für Ärzte.

Häufige Missverständnisse

• „Nichtärztliche Psychotherapie ist schlechter.“
  → falsch: Ausbildung ist wissenschaftlich fundiert und staatlich reguliert.

• „Nur Psychiater dürfen therapieren.“
  → falsch: Psychiater dürfen diagnostizieren und medikamentös behandeln, Psychotherapeutinnen therapieren.

• „KVG zahlt nur bei schweren Erkrankungen.“
  → falsch: jede diagnostizierte psychische Störung kann Grundlage sein.

• „Man braucht immer Medikamentenbehandlung.“
  → falsch: viele Störungen sprechen auf reine Psychotherapie an.

• „Direkt buchen ohne Arzt reicht für KVG.“
  → falsch: es braucht eine ärztliche Anordnung.

Fazit

Die nichtärztliche Psychotherapie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der psychischen Versorgung in der Schweiz. Dank staatlich geregelter Ausbildung, hoher Qualitätsstandards und dem Anordnungsmodell der Grundversicherung wird der Zugang zu psychotherapeutischer Hilfe erleichtert und finanzierbar. Sie entlastet Psychiaterinnen, verkürzt Wartezeiten und bietet tausenden Betroffenen eine wirksame Unterstützung bei psychischen Erkrankungen. Gerade in einer Zeit, in der psychische Belastungen stark zunehmen, gewinnt sie weiter an Bedeutung.

Quellenverzeichnis

• [1] Psychotherapieversorgung Schweiz – Bericht 2023
• [2] Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK – Monitoring Psychotherapie 2022
• [3] BAG (Bundesamt für Gesundheit) – Abrechnung Psychotherapie, 2021
• [4] Schweizer Gesundheitsreport Psychische Gesundheit, 2020