Krankentaggeld: Was ist damit gemeint? (Definition, Erklärung)

Das Wichtigste in Kürze

• Freiwillige Versicherung gegen Lohnausfall bei Krankheit

• Deckt meist 80 % des Lohnes bis 720 Tage

• Deckt meist 80 % des Lohnes bis 720 Tage

• Ergänzung zur Lohnfortzahlung nach OR

• Wichtig bei längeren Erkrankungen und chronischen Leiden

• Schützt vor finanziellen Härten und Sozialhilfebedarf

• Gilt nicht für Unfall – dafür UVG zuständig

Zahlen & Fakten

1. Rund 60 % der Arbeitnehmenden in der Schweiz sind über ihren Arbeitgeber krankentaggeldversichert [1].
2. Die Versicherungen decken mit Krankentaggeld jährlich Leistungen von über 2 Milliarden CHF [2].
3. Etwa 15 % aller Arbeitsausfälle dauern länger als 30 Tage – diese Fälle benötigen oft Taggelder [3].
4. 80 % Lohnersatz über maximal 720 Tage in 900 Tagen ist der gängigste Standard [1].
5. Mehr als 40 % der IV-Neuanmeldungen** folgen nach einer langen Krankentaggeldphase [4].
6. Durchschnittliche Prämien für Krankentaggeld liegen bei 0.5–3 % des Jahreslohns, je nach Branche [2].
7. Psychische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für lange Taggeldperioden (über 35 %) [3].

Rechtliche Grundlagen und Einordnung im Schweizer System

Das Krankentaggeld ist im VVG (Versicherungsvertragsgesetz) geregelt, während die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im OR (Obligationenrecht) verankert ist.

Lohnfortzahlung gemäss OR

Arbeitgeber müssen im Krankheitsfall den Lohn weiterzahlen:

• Dienstjahr: mindestens 3 Wochen
• ab 2. Dienstjahr: gemäss Zürcher/Berner/Basler Skala (bis max. 34 Wochen)

Diese Pflicht ist begrenzt – deshalb ist Krankentaggeld entscheidend.

Krankentaggeld nach VVG

• ergänzt die gesetzliche Lohnfortzahlung
• übernimmt 80 % des Lohnes
• Laufzeit: bis zu 720 Tage
• Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzieren es gemeinsam oder allein

Abgrenzung zu AHV, IV, EO

• AHV: Altersvorsorge, keine Lohnersatzleistung bei Krankheit
• IV: zahlt erst nach Eingliederungsmassnahmen und bei dauerhafter Invalidität
• EO: Lohnersatz bei Mutterschaft, Militär- oder Zivildienst

Das Krankentaggeld schliesst somit die finanzielle Lücke zwischen Krankheit und IV.

Wie die Leistungen berechnet werden

Die Berechnung des Krankentaggelds basiert auf dem versicherten Lohn und dem vereinbarten Deckungsgrad.

Standardmodell

• 80 % des Lohnes
• ab dem 3. Tag
• maximal 720 Tage in 900 Tagen

Beispielrechnung

Monatslohn: 6’000 CHF
80 % = 4’800 CHF
4’800 / 30 = 160 CHF pro Tag

Wenn jemand 100 Tage krank ist:
160 × 100 = 16’000 CHF

Bei einem Jahreslohn von 72’000 CHF kann das Krankentaggeld über 720 Tage insgesamt bis zu:
160 × 720 = 115’200 CHF leisten.

Praxisbeispiele

Beispiel 1: Burnout mit 6-monatiger Arbeitsunfähigkeit

Eine 42-jährige Marketingfachfrau verdient 7’000 CHF pro Monat. Nach einem Burnout ist sie 6 Monate arbeitsunfähig.

Berechnung:
7’000 × 0.8 = 5’600 CHF
5’600 / 30 = 186.67 CHF pro Tag
186.67 CHF × 180 Tage = 33’600 CHF Krankentaggeld

Ohne Taggeld hätte sie nach Ablauf der OR-Lohnfortzahlung (ca. 2 Monate im 6. Dienstjahr) nur noch Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beanspruchen können.
Die Taggeldversicherung ermöglicht ihr finanzielle Stabilität und zusätzliche Zeit zur Rehabilitation.
Dieses Beispiel zeigt, wie relevant Krankentaggeld bei seelischen Belastungen ist – der häufigsten Ursache langfristiger Absenzen.

Beispiel 2: Operation und 10-wöchige Rehabilitation

Ein 55-jähriger Schreiner verdient 5’500 CHF pro Monat.
Nach einer Knieoperation fällt er 10 Wochen aus.

Berechnung:
5’500 × 0.8 = 4’400 CHF
4’400 / 30 = 146.67 CHF pro Tag
70 Tage × 146.67 = 10’266.90 CHF

Da der Arbeitgeber nur 5 Wochen gemäss OR weiterzahlen muss, deckt das Krankentaggeld die verbleibenden 5 Wochen vollständig ab.
Ohne diese Versicherung müsste er rund 3’600 CHF Lohnausfall tragen – eine erhebliche Belastung bei laufenden Kosten wie Miete, Krankenkasse und Lebensunterhalt.

Bedeutung des Krankentaggelds für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer

• Schutz vor finanziellen Härtefällen
• Reduktion von Existenzängsten während Krankheit
• Stabile Lohnfortzahlung über viele Monate
• bessere Rückkehrchancen in den Beruf
• Schutz der Lebenshaltungskosten

Für Arbeitgeber

• Absicherung gegen hohe Lohnkosten bei langen Krankheitsausfällen
• Kalkulierbare Personalplanung
• Vermeidung finanzieller Risiken bei längerem Ausfall
• geringere Gefahr arbeitsrechtlicher Konflikte
• oft Voraussetzung in Gesamtarbeitsverträgen

Zusätzlicher Abschnitt 1: Wartefristen und Vertragsvarianten

Krankentaggeldversicherungen enthalten oft:

• Wartefrist (Karenzfrist) von 2–30 Tagen
• Deckungsgrad (80 %, selten 100 %)
• Laufzeit (720 Tage üblich)
• Prämienaufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Beispiel Wartefrist

Wartefrist: 14 Tage
Lohnfortzahlung OR übernimmt die ersten 14 Tage, danach Taggeld.

Variante: 100 % Taggeld

Weniger verbreitet und teurer:

• Lohn 5’000 CHF → Taggeld 5’000 CHF / 30 = 166.67 CHF pro Tag
• 166.67 × 720 = 120’002 CHF

Zusätzlicher Abschnitt 2: Krankentaggeld und IV – wie der Übergang funktioniert

Wenn eine Krankheit länger dauert, kommt die IV ins Spiel:

1. Krankentaggeld während der ersten Monate
2. IV-Abklärung nach rund 3–6 Monaten
3. Eingliederungsmassnahmen wie Umschulung, Arbeitsversuche
4. Falls Eingliederung nicht möglich → Invalidenrente

Das Taggeld verhindert Einkommenslücken, bis IV entscheidet.

IV-Rente Beispiel

Einkommen vorher: 72’000 CHF
Invaliditätsgrad: 50 %
→ IV-Rente ca. 14’400–18’000 CHF pro Jahr
→ deutlich weniger als 80 % Taggeld
→ zeigt die Wichtigkeit der Taggeldphase

Häufige Missverständnisse

• „Krankentaggeld ist obligatorisch.“ 
  → Nein, freiwillig.

• „Unfälle sind auch gedeckt.“ 

  → Falsch, UVG übernimmt Unfälle.

• „Lohnfortzahlung OR reicht aus.“ 
  → Nur bei kurzen Krankheiten.

• „Taggeld gibt es unendlich lange.“ 
  → Maximal 720 Tage.

• „Die Versicherung zahlt immer.“ 
  → Nur bei korrekter Arztbestätigung und Vertragsbedingungen.

Fazit

Das Krankentaggeld ist eine zentrale finanzielle Absicherung im Schweizer Gesundheitssystem. Es schützt Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Selbstständige vor existenziellen Risiken bei längerer Krankheit. Gleichzeitig entlastet es Arbeitgeber und schafft Stabilität in der Personalplanung. Die richtige Vertragswahl – Wartefrist, Deckungsgrad und Prämien – ist entscheidend. Krankentaggeld stellt die Brücke zwischen der gesetzlichen Lohnfortzahlung und der Invalidenversicherung dar und sichert die Lebensqualität während gesundheitlich schwierigen Phasen.

Quellenverzeichnis

• [1] VVG – Krankentaggeldregelungen Schweiz, 2023
• [2] Schweizer Krankenversicherungsstatistik, 2022
• [3] Arbeitgeberverband – Absenzstatistik, 2023
• [4] IV-Jahresbericht, 2022
• [5] Gesundheitskostenbericht Schweiz, 2022