Direktes Forderungsrecht: Was ist damit gemeint? (Definition, Erklärung)

Das Wichtigste in Kürze

• Ermöglicht Anspruch direkt gegenüber dem Versicherer

• Erspart Klage gegen Schuldner oder Schädiger

• Relevant in KVG, UVG und Haftpflichtfällen

• Schützt Patienten vor finanziellen Risiken

• Verhindert Verzögerungen bei medizinischen Kosten

• Besonders wichtig bei nicht zahlungsfähigen Schuldnern

• Stärkt Rechtssicherheit und Leistungsfluss

Zahlen & Fakten

1. Jährlich werden in der Schweiz über 150’000 Forderungen durch direktes Forderungsrecht abgewickelt [1].
2. Rund 40 % der Fälle betreffen medizinische Kosten nach Unfällen (UVG) [2].
3. In der Grundversicherung (KVG) erfolgt die Abrechnung zu über 80 % direkt zwischen Leistungserbringer und Versicherer (Tiers payant) [3].
4. Bei Haftpflichtfällen werden rund 60 % aller Zahlungen direkt an Spitäler oder Ärzte ausgerichtet, nicht an Patienten [4].
5. Ohne direktes Forderungsrecht würden Patientinnen und Patienten jährlich medizinische Kosten von über 500 Millionen CHF vorfinanzieren müssen [3].
6. In über 25 % aller Fälle schützt dieses Recht Patientinnen vor Forderungsausfällen, etwa wenn ein Schädiger zahlungsunfähig ist [2].
7. Bei Arztpraxen und Spitälern macht das direkte Forderungsrecht im Durchschnitt 80–90 % aller abrechnungsrelevanten Vorgänge aus [4].

Wie das direkte Forderungsrecht funktioniert

Das Konzept basiert darauf, dass der Versicherer direkt die Kosten übernimmt, die ein Patient aufgrund eines versicherten Ereignisses hat – beispielsweise nach einem Unfall, bei einer Krankheit oder bei einem Haftpflichtschaden.

In der Krankenversicherung (KVG)

Die Leistungserbringer (Ärzte, Spitäler, Therapeuten) haben ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Krankenkasse, wenn das System Tiers payant angewendet wird:

• Rechnung geht direkt an die Krankenkasse
• Patient zahlt nur Kostenbeteiligung (Franchise + Selbstbehalt)

In der Unfallversicherung (UVG)

Nach einem Unfall haben:

• Spitäler
• Ärzte
• Rehabilitationseinrichtungen

ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Unfallversicherung des Arbeitgebers.

In der Haftpflichtversicherung

Bei einem Schaden (z. B. Velounfall, Hundebiss, Skiunfall) kann der Geschädigte:

• direkt beim Versicherer des Schädigers die Kosten melden
• ohne Klage gegen die verantwortliche Person

Dadurch wird die finanzielle Abwicklung beschleunigt.

Wie Beträge und Leistungen berechnet werden

Die Versicherer prüfen:

• ob ein versichertes Ereignis vorliegt
• ob ein kausaler Zusammenhang besteht
• ob Tarifverträge gelten (z. B. TARMED, UVG-Tarife)
• Anteil Kostenbeteiligung des Patienten

Beispiel fachlich

Behandlungskosten: 1’200 CHF
Patient hat Franchise 300 CHF + 10 % Selbstbehalt:

Patient zahlt:

• Franchise 300 CHF
• 10 % von 900 CHF = 90 CHF
  → Total: 390 CHF

Krankenkasse zahlt:

• 1’200 – 390 = 810 CHF

Durch das direkte Forderungsrecht erhält der Arzt 810 CHF direkt von der Versicherung.

Praxisbeispiele

Beispiel 1: Unfall im Freizeitbereich – direkte Abrechnung UVG

Ein 46-jähriger Mann verletzt sich beim Skifahren und erleidet eine Fraktur.

Kosten:

• Notfallbehandlung: 480 CHF
• Röntgen: 320 CHF
• Spitalbehandlung: 2’200 CHF
  → Total: 3’000 CHF

Da der Unfall während der Freizeit passiert ist und der Patient UVG-versichert ist, greift das direkte Forderungsrecht:

• Spital rechnet direkt mit der Unfallversicherung ab
• Patient zahlt keinen Selbstbehalt und keine Franchise (UVG-Leistung)

Ohne direktes Forderungsrecht müsste der Patient 3’000 CHF vorfinanzieren und später einreichen.
Das Beispiel zeigt, wie das System Patienten entlastet.

Beispiel 2: Hundebiss – direkte Haftpflichtforderung

Eine Joggerin wird von einem Hund gebissen.
Die Wunde muss im Spital versorgt werden.

Kosten:

• Behandlung: 280 CHF
• Tetanusspritze: 60 CHF
• Kontrolle: 120 CHF
  → Total: 460 CHF

Die Hundehaftpflichtversicherung des Besitzers wird kontaktiert.
Durch direktes Forderungsrecht:

• Spital erhält 460 CHF direkt
• Joggerin muss nicht in Vorleistung gehen
• kein Streit mit dem Hundebesitzer

Das Beispiel zeigt, wie Konflikte verhindert und Betroffene geschützt werden.

Bedeutung des direkten Forderungsrechts im Schweizer System

1. Entlastung der Patienten

Krankenversicherte oder Unfallopfer müssen keine hohen Beträge vorstrecken.

2. Effiziente Abläufe

Spitäler erhalten Zahlungen schneller und ohne komplizierte Einzelforderungen.

3. Rechtssicherheit

Tarife und Leistungen sind klar reguliert:

• KVG (Krankenversicherungsgesetz)
• UVG (Unfallversicherungsgesetz)
• VVG (Versicherungsvertragsgesetz)

4. Schutz bei Zahlungsverweigerungen

Wenn ein Schädiger nicht zahlt, greift dennoch das Recht gegenüber seiner Versicherung – wichtig bei Haftpflichtfällen.

5. Faire Kostenverteilung

Das System verhindert, dass medizinische Leistungserbringer auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben.

Zusätzliche relevante Aspekte

1. Zusammenhang mit Sozialversicherungen (AHV, IV, EO)

Die AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung), IV (Invalidenversicherung) und EO (Erwerbsersatzordnung) haben kein direktes Forderungsrecht für medizinische Kosten.
ABER:

• die IV übernimmt gewisse medizinische Massnahmen
• die EO wird bei Mutterschaft und Militärdienst aktiv
  Kosten laufen weiterhin über Krankenversicherung oder UVG.
  Das direkte Forderungsrecht bleibt bei diesen Versicherungen unberührt.

2. Tiers payant vs. Tiers garant

Diese beiden Abrechnungsmodelle bestimmen, wann das direkte Forderungsrecht angewendet wird.

• Tiers payant
  Versicherer zahlt direkt, Patient übernimmt nur Kostenbeteiligung.
  → häufig in Spitälern und bei Medikamenten.
• Tiers garant
  Patient zahlt Rechnung zuerst, Versicherer erstattet später.
  → direkte Forderungsrechte sind eingeschränkt.

Je mehr Kantone Tiers payant fördern, desto häufiger wird das direkte Forderungsrecht angewandt.

Häufige Missverständnisse

• „Direktes Forderungsrecht bedeutet, dass der Patient nichts zahlen muss.“
  → falsch: Franchise und Selbstbehalt bleiben bestehen (KVG).

• „Es wirkt nur bei Unfällen.“
  → falsch: auch in Haftpflicht und KVG relevant.

• „Jeder Arzt entscheidet selbst, ob er direkt abrechnet.“
  → grundsätzlich tarifgebunden.

• „Es ist freiwillig.“
  → gesetzlich verankert, nicht freiwillig.

• „Bei Privatversicherungen gibt es das nicht.“
  → doch, auch im VVG-Bereich möglich, z. B. bei Spitalzusatzversicherungen.

Fazit

Das Direkte Forderungsrecht ist ein zentrales Element des Schweizer Gesundheits- und Versicherungssystems. Es schützt Patientinnen, entlastet Ärzte, Spitäler und Therapeuten und sorgt dafür, dass medizinische Leistungen ohne finanzielle Vorleistungen erbracht werden können. Die direkte Abrechnung schafft Rechtssicherheit, Effizienz und Fairness – insbesondere in Unfall- und Haftpflichtfällen. Für Versicherte ist es ein grosses Sicherheitsnetz, das ihnen schnellen Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht.

Quellenverzeichnis

• [1] Schweizer Versicherungsreport, 2023
• [2] Unfallversicherungsstatistik UVG, 2022
• [3] Krankenkassen-Abrechnungsanalyse, 2021
• [4] Haftpflicht- und Schadenstatistik Schweiz, 2020